In was für einer Welt leben wir eigentlich?


In was für einer Welt leben wir eigentlich?


Diese Frage stelle ich mir ernsthaft, wenn ich gezielt an mich heranlasse, was in dieser Welt jeden Tag passiert. Ich halte mich von Nachrichten fern soweit es geht. Wenn ich spüre, dass ich Ressourcen frei habe, beschäftige ich mich gezielt.

Eine Herausforderung für Hochsensible in einer Informationsflut nicht unterzugehen und in (fremden) Gefühlen zu ertrinken.

Heute entnehme ich der Tagespresse, dass am vergangenen Wochenende in meiner Heimatstadt Bremen, sich zwei erwachsene Männer in der Straßenbahn geprügelt haben. Einer der beiden Männer, ein Mensch ausländischer Herkunft, bat den anderen in der vollbesetzten Bahn seinen Rucksack vom Sitzplatz zu nehmen, sodass er sich setzen könne. Der andere reagierte – auch nach mehrmaliger Ansprache nicht und ignorierte den Mann. Bis der Betroffene den Rucksack selbst vom Sitz entfernte, um sich zu setzen. Woraufhin der „Ignorierer“ den Menschen rassistisch beschimpfte und

beleidigte, bis es wie eingangs erwähnt, in einer Prügelei mit Verletzten endete.


Mich nimmt so etwas sogar aus der Ferne mit. Ich spüre die Verachtung, den Schmerz, die Wut, die Angst, so als sei mir selbst diese Situation widerfahren. In der Stadt, in der ich lebe, gibt es Menschen die Ideologien aus dem zweiten Weltkrieg nicht nur verbreiten, sondern leben. Die Grenzen überschreiten, die unantastbar sein sollten. Und drum herum sind Menschen, die mitmachen oder zuschauen, falls sie nicht mit „angestrengt wegschauen“ zu beschäftigt sind…


Bei dem Gedanken schäme ich mich fremd. Zu der Scham gesellt sich Schmerz, richtig tiefer Schmerz darüber, dass wir in einer solchen Welt leben. Es ist unsere Realität Tag für Tag, im Großen und im Kleinen.

Eine bittersüße Mischung aus Mitgefühl und

Weltschmerz, eine seltsame Zerissenheit zwischen Ungerechtigkeit und Unverständnis umtreiben mich dann.

Ich begreife nicht, dass zwei Menschen, die ein Herz in ihrer Brust haben (und wie man meinen sollte ein Gehirn im Kopf), ernsthaft sich selbst als besser oder schlechter empfinden. Dass sie sich das Recht herausnehmen, sich über jemanden zu stellen – gleich welcher Herkunft.

Ihm seine Identität abzusprechen, indem sie ihn ignorieren. Es schmerzt mich, dass kein Kontakt stattfindet auf einer Herzebene - von Mensch zu Mensch. Dass jemand „sein Land“ für sich beansprucht und vermeidet, jemandem in die Augen zu schauen. Augen, die vielleicht eine leidvolle Geschichte von Vertreibung und Krieg erzählen. Dass dieser Jemand sich vielleicht selbst so klein und handlungsunfähig empfindet, dass er sich über andere stellen muss und die Veränderung und den Wandel, die Entwicklung des Landes und der Welt als Bedrohung seiner selbst empfindet? Dass er stolz über seine Herkunft empfindet, wo eigentlich Dankbarkeit und Demut hingehört, denn Herkunft ist Zufall und nicht gewählt.

Und dann sind da doch auch noch andere Menschen gewesen, denn die Bahn war ja laut Berichterstattung voll. Hat niemand etwas gesagt, geschweige denn eingegriffen? Wie kann jemand zusehen, wenn jemand anders ausgegrenzt und erniedrigt wird und warum hat niemand dem „Ignoraten“ Einhalt geboten? Es versetzt mir einen Schlag, dass niemand das verhindern konnte oder wollte. Ich bin überzeugt, es kann weder Einzelfall noch Zufall sein.


All diese Ideen, Gedanken und Gefühle halten mich tagelang beschäftigt. Immer wieder kommt mir dann in den Kopf, dass ich wünschte, selbst dabei gewesen zu sein. Es hätte mich emotional zwar aufgewühlt, ich wäre Tage mit der Verarbeitung beschäftigt gewesen, aber ich hätte etwas gesagt und eingegriffen, wäre laut geworden und hätte andere Menschen aufgefordert zu helfen. Ich müsste mich nicht handlungsunfähig fühlen und verständnislos zurückbleiben.


Ich wünsche mir aus tiefstem Herzen eine Welt, in der Würde ein hohes Gut ist und in der Menschlichkeit mehr zählt als (falscher) Stolz. In der es wieder mehr echten Kontakt geben kann, in der wir MITEINANDER leben und FÜREINANDER da sind.


Wir stehen alle in der Verantwortung, damit jetzt anzufangen. In dem wir uns mit unseren Herzen verbinden, uns unserer Gefühle bewusst sind und kompetent mit Ihnen umgehen können. Dadurch, dass

Diversität leben darf, wir uns die Mühe machen jeden Menschen und jede Geschichte individuell anzusehen, anstatt Meinungsmache und Vorurteilen Raum zu geben.

Doch dafür müssten wir uns erst einmal die Zeit nehmen, vom Smartphone mit fragwürdigen Nachrichten aufzusehen und einander ansehen…