Es ist Sonntagmorgen – ich kuschele mit meinen beiden Kindern im Bett. Am Tag davor war ich auf einer Familienfeier und bin entsprechend erledigt. Schon nach zwei Stunden stand ich innerlich neben mir und war gut beschäftigt mit vielen Reizen: Anspannung vorher durch Aufregung, Stimmen und Gespräche die durcheinander gehen, Essen und Trinken, Lachen und Geschenke… All das habe ich genossen: den Kontakt und die Verbundenheit, die Freude und das Beisammensein. Und trotzdem weiß ich, dass ich es heute langsamer angehen werde. Also liegen wir jetzt dicht aneinander gedrängt, zu dritt, im Bett und quatschen und kuscheln. Wir machen einen lazy Sonntag. Es ist behaglich.
Aus heiterem Himmel fragt mich meine neunjährige Tochter: “Mama, wie hast Du dich gefühlt als dein Papa gestorben ist?“ Im ersten Moment stocke ich… Eine tiefgehende Frage aus dem Nichts.
Denn es ist nun 5 Jahre her, dass mein Vater ziemlich plötzlich und viel zu früh mit 59 Jahren sein Leben gelassen hat. Es war ein Montag und ich bekam einen Anruf in der Kita, in der ich damals arbeitete und dieser Anruf riss mich jäh aus meinem Alltag. Wie ferngesteuert verließ ich, nach knapper Auskunft, meinen Arbeitsplatz: „Mein Vater ist eben gestorben“ und ließ schockierte Kollegen zurück.
Die Kleine war damals 3 Jahre jung und verstand nicht viel – außer der Tatsache, dass sie ihren Opa nicht wiedersehen konnte – nie wieder. Für sie brach damals eine Welt zusammen, da auch sie sehr an meinem Vater hing. Seit der Beerdigung meines Vaters war dieses Thema sehr schwer zu besprechen für den kleinen Menschen. Sie trauerte über Jahre, immer wieder und ausgesprochen tief. Wir konnten selten über ihn sprechen, ohne dass sie in Tränen ausbrach. Wir ließen es zu, wann immer wir die Kraft dazu hatten, die Trauer als Familie zu halten.
Zum ersten Mal seit Jahren sprach meine Tochter das Thema von sich aus an… Und genau das freute mich, denn ich konnte daran erkennen, dass da ein Raum frei geworden war, dass mein Kind einen wichtigen Entwicklungsschritt im eigenen Tempo getan hat und sich nun stark genug fühlte sich diesen Gefühlen zu stellen. Und ich stellte mich ihrer Frage und versuchte eine Zusammenfassung – ohne die langanhaltende Starre und die Länge des Trauerprozesses zu schmälern, suchte ich nach einer Antwort, die meiner Tochter gerecht werden würde und dennoch nicht überfordert.
Ich erzählte ihr, dass ich zuerst geschockt war und es nicht glauben konnte. Dann, als ich in meiner Heimatstadt, dem Wohnort und zu Hause meines Papas angekommen war und ihn aufgebahrt sah, es begriff, zumindest in meinem Kopf. Dass mein Herz es aber nicht verstand. Ich erzählte meiner Tochter, dass ich traurig war und ich erzählte ihr, dass ich es nicht fassen konnte. „Mama und was hat dir dann geholfen?“ – diese Zwischenfrage berührte mein Herz. Wie wissbegierig und fragend dieses Kind dem Leben gegenüber ist, macht mich unfassbar stolz und versetzt mich in Erstaunen.
Ich höre mich antworten: „Was mir geholfen hat, möchtest Du wissen? Seine Hände berühren, mit ihm sprechen. Geschimpft habe ich auch und gehadert: „Warum hast du nicht besser auf dich Acht gegeben? Warum verlässt Du mich schon? Ich hatte so viele Fragen. Und ich habe mir den Schmerz von der Seele geredet. Mit einem Papa, der schon sichtbar nicht mehr in diesem Körper wohnte. Und da habe ich gemerkt, dass ich stark bin und welche Menschen für mich da sind, mich trösten. Außerdem war viel zu tun und das hat mich auch abgelenkt vom Traurig sein – die Pausen waren gut. Wenn ein Mensch stirbt ist viel zu tun. Und ich habe mir letzte Worte an ihn überlegt, Worte die helfen Abschied zu nehmen. Ich habe eine Trauerrede geschrieben und sie auch vorgetragen. Und das hat mir auch geholfen. Und die Liebe zu euch, die hat mich getröstet. Und viele Karten von lieben Menschen, die ihn auch vermissen und traurig waren. Mit der Zeit ist es dann besser geworden. Ich habe an schöne Momente gedacht und dann war ich wieder verzweifelt und habe ihn vermisst, so dass mein Bauch geziept hat. Es hat sich abgewechselt, wie Wellen im Meer. Und ich habe gemerkt, dass die Liebe immer bei mir bleibt. Und irgendwann, nach langer Zeit, hat es nicht mehr so wehgetan. “
Meine Gedanken schweifen ab: ich denke an eine Trauerkarte, die von einer ehemaligen Kundin meines Vaters geschrieben war, mit für mich sehr treffenden Worten: „Wir denken an Sie und ihre Familie zum Heimgang ihres geliebten Vaters.“ Heimgang – das ist, für mich, ein sehnsuchtsvolles, treffendes Wort und das war für mich unfassbar tröstlich…
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen – denn meine Tochter scheint zufrieden mit den Antworten. Sie beendet die ernste Unterhaltung mit den Worten: „Danke, dass Du mir davon erzählt hast. Und nun schau was ich kann.“ Und sie präsentiert mir den perfekt einstudierten „Armpups“, den ihr großer Bruder ihr beigebracht hat und hält ihre Hand unter ihre nackte Achsel und lässt ein Pupsgeräusch ertönen und kichert wie wild.
Kinder sind im Jetzt und so weise, dass es mir Gänsehaut verschafft - immer wieder. Ich lache über die Vorführung und bin zeitgleich so tief berührt über den Raum, der sich auftat für meine Gefühle und die überraschenden Tiefen und Fragen meiner Kinder.