Alles im Leben ist Beziehung.
Beziehung zu uns selbst und zu uns nahe stehenden Menschen, zu (unseren) Gedanken und Gefühlen, zu den Geschehnissen in dieser Welt, zu Haltungen und Entscheidungen. Wie wir uns selbst in
Beziehungen wahrnehmen, verorten und verhalten liegt auch an den Gefühlen die sich dabei in uns entwickeln oder manchmal auch unerwartet zeigen. Und manchmal steuern uns diese Gefühle und sind
plötzlich „der Boss“. Treiben uns diese Gefühle zu Handlungen, die wir womöglich später bereuen, kann es sein, dass wir Gefühle als „schlecht“ oder „negativ“ wahrnehmen.
Dabei ist ein Gefühl für sich genommen, erst einmal wertfrei und ein reiner Ausdruck unserer Seele. Allein die Beziehung die wir ihm gegenüber einnehmen entscheidet über Wirkung, Nutzen oder sogar Schaden.
Für Beziehungsfähigkeit braucht es emotional offene Begegnung, und damit diese gelingt, braucht es eine positive Selbstbeziehung und ein Gefühl von so-sein-dürfen: sich selbst (möglichst
liebevoll) anzunehmen, freundlich mit sich sein zu können und das eigene Wesen zu bejahen!
Ohne ein offenes Herz für sich selbst gelingt keine Begegnung: weder mit sich selbst, noch mit anderen Menschen.
Dabei stellt eine tiefe Begegnung das Lebenselixier schlechthin dar – insbesondere für hochsensible Menschen.
Begegnung kann heilsam sein.
Niemals zu begegnen, fühlt sich schlecht an und kann letztendlich sogar krank machen. Eine echte Begegnung findet statt, wenn es möglich wird sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen.
Wie schmerzlich erleben wir Partnerschaften, wenn sie zu formalen Beziehungen verkommen sind?
Dennoch ist es schwer, sich von jemandem zu trennen, den wir nicht mehr lieben oder nicht zurückgeliebt werden. Die Veränderung kann sich manchmal zu mächtig und überwältigend anfühlen, die alten
Überlebensmuster und Glaubenssätze werden sichtbar in all ihrer Macht.
Um einen Trennungsprozess bewältigen zu können, bedarf es einer funktionierenden Verbindung zu sich selbst.
Wenn wir keine echte Nähe zu uns selbst entwickelt haben, verhindert dies die notwendige Trennung zum anderen. Das kann auch in einer bestehenden Beziehung eine große Hürde darstellen. An dieser
Stelle zeigt sich der eigene Bindungsstil ganz offen sichtbar.
Wir können uns der offenherzigen Begegnung nicht aussetzen, wenn wir uns im Grunde nicht selbst bejahen, den Wert unseres Selbst nicht anerkennen können und unsere eigenen Grenzen nicht gesund
benennen.
Die Möglichkeit, in Beziehung zu treten, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten unseres Lebens.
Wir alle sind werden als vertrauens-und beziehungsfähige Wesen geboren.
Das heißt, Menschen, die als Erwachsene keine Beziehung mehr eingehen können, haben diese Fähigkeit durch zum Beispiel ihre Erziehung und/oder traumatische Verwundungen verloren.
Dann können unsere Beziehungen von Selbstbestätigung und Rechtfertigung oder Abschottung in extremer Abgrenzung geprägt sein. Ein Gefühl des „abgeschnitten seins“ oder der Abhängigkeit – je nach
Ausprägung, kann dann einen wahnsinnigen Leidensdruck und Schmerz auslösen, der mit emotionalen Turbolenzen einhergeht. Durch die vielfältigen Auslöser und der jeweils eigenen
(Bindungs-)Geschichte, ist dieser Leidensdruck individuell und selten gibt es Worte dafür.
Einige Menschen mit denen ich arbeite, fühlen sich unverstanden – generell oder in ihrem Schmerz. Das sind Gefühle des inneren sprachlosen Terrors, die kaum ausgedrückt werden können. Diesen
inneren Empfindungen Worte zu geben und etwas Ordnung ins Chaos zu bringen ist ein sehr großer Teil meiner Arbeit.
Oftmals liegen die Auslöser in der eigenen Geschichte, werden häufig nicht bewusst erinnert. Im Nervensystem und im Körper bleiben diese Erinnerungen gespeichert und zeigen sich dann im Verhalten
als Reaktion auf Stress auf bestimmte Situationen. Die immer gleiche Reaktion einhergehenden mit einem Nervensystem, dass sich diese „Schmerzen“ gemerkt hat und auch im Körper abgespeichert hat
und immer gleich auf ähnliche Situationen reagiert: überschießend und affekthaft – auch wenn gegenwärtige Situationen ein solches Notfallverhalten nicht (mehr) rechtfertigen. Der Körper spricht
in seiner eigenen Sprache mit uns.
Überwältigende Situationen führen zu „Abschalt-Tendenzen“. So, dass wir weniger oder sogar nichts mehr Fühlen. Uns fehlt Lebendigkeit. Dieses "Feststecken im Schmerz" kann einen heftigen Leidensdruck erzeugen. Dieser bringt uns zu dem Wunsch der Veränderung.
Beispielhaft kann hier die Pandemie als Veränderung in unserem Leben gesehen werden. Wir mussten unser soziales Leben stark begrenzen. Kontakte, Treffen, Kulturveranstaltungen
(Gemeinsame Verbindungen und positives Erleben) waren nicht mehr möglich. Wir erfahren damit hautnah den Wert dieser Dinge in unserem Leben. Wir spüren was es bedeutet unfreiwillig kontaktlos zu sein. Die Sinnhaftigkeit und Wahrhaftigkeit von Freundschaft und Beziehung wird erlebt und gefühlt. Ich entscheide mich von nun an bewusster damit umzugehen und möchte den Kontakt suchen. Und plötzlich tauchen da Gedanken auf wie „Ich bin ungeübt im Kontakt“ und ich fühle vielleicht Unsicherheit. Ich bin irritiert und bemerke, dass es da eine diffuse „Angst“ gibt in (zu engen) Kontakt mit anderen zu sein, das ist vielleicht gefährlich. Diese war mir vorher nicht bewusst. Ich habe vielleicht eher die sensorische Beanspruchung bei Treffen in der Öffentlichkeit wahrgenommen und das erlebte Unwohlsein allein damit erklärt. Dann ist es eine gute Möglichkeit zu erforschen wie sich diese Angst zeigt: Gibt es körperliche Anzeichen? Woran merke ich, dass ein Kontakt „zu nah“ ist? Sind die (vielleicht von mir erdachten) Erwartungen von anderen mit einem Engegefühl in mir verknüpft? Welche Dosis von Kontakt braucht es? Wie lange kann ein Treffen dauern, dass ich mich noch wohl damit fühle? Was brauche ich um meinen Raum zu schützen? Alle diese Aspekte können zunächst beobachtet werden. Die Erkenntnisse daraus können mitgenommen werden und ins Außen transportiert werden.
Auch einen Menschen zu finden bei dem ich mich sicher genug fühle, um meine Gedankengänge zu teilen, erlebe ich persönlich als sehr heilsam. Ich laufe schnell Gefahr mich im eigenen Prozess zu verlieren. Im Austausch gibt es Impulse, die ich in meiner eigenen Gedankenwelt nicht finde. Ich spreche die Worte in mir laut aus und bekomme eine Spiegelung und Einordnung. Wenn ich mich zu sehr um mich selbst drehe, ist es für mich wichtig bewusst auszusteigen, ins Außen zu gehen, um das Nervensystem und den Körper nicht zu überlasten. Den Nachhall gleichsam etwas aus meinem Inneren wegsteuern.
Umso schöner, dass ich das nicht nur empfangen, sondern auch geben darf.
Eine Freundin oder ein Freund kann durch einfühlsame, aber ehrliche Worte mit mir Aspekte beleuchten und Perspektiven eröffnen, die mir alleine nicht sichtbar werden. Mich stoppen, wenn ich zu „hart“ mit mir bin. Ich fühle mich dann gehalten.
Wenn es Menschen gibt, die mich in meinem Prozess der Veränderung begleiten, kommt ein sehr tiefer Kontakt zustande. Dieser Kontakt hat für mich eine heilsame Qualität und ist eine Bezeugung meiner inneren Prozesse, die sehr kraftvoll sein kann und mich sogar schneller voran bringt.
Diese besondere Verbindung braucht Vertrauen und Transparenz und möchte gepflegt werden – wenn Du in deine Tiefen alleine abtauchst, denke auch an die Menschen, die um dich herum sind und halte den Kontakt – melde dich ab und sage deinem Umfeld „bescheid“. Einfach abzutauchen kann für dein Umfeld schwierig sein und dafür sorgen, dass Du unverstanden bleibst und nicht mehr zwingend mit offenen Armen empfangen wirst. Wenn Du dich veränderst: wer (oder was) bleibt dann? Wer ist dir (noch) wichtig und warum?
Wenn Du, wie ich, das Leben universell betrachtest, weißt und spürst Du vielleicht dass alles miteinander verbunden ist…
Wenn Du nicht nur mit dem Kopf reflektierst, hörst Du auch auf dein Herz und dieses Herz will fühlen und zwar die ganze Bandbreite. In Veränderungsprozessen kommen manchmal Emotionen zu Tage, die uns tief erschüttern können. Das Fühlen von Schmerz geht aber nicht immer alleine. Mit einem Gegenüber kann der gemeinsam getragene Schmerz eine sehr verbindende Komponente sein und sich leichter integrieren.
Nicht immer können Freunde das leisten. Eine Beratung, Begleitung und/oder Therapie kann dann ein sinnvolleres Gegenüber sein.
Dass etwas Veränderung braucht, spürst Du auch daran, dass du im „Funktionieren“ gefangen bist und nicht frei agieren kannst. Ich fühle zuviel Erwartungen im Außen und verliere dadurch meine innere Mitte. Ein innerlicher Stopp kann sein sich zu fragen:“ Was möchte ich jetzt? Was brauche ich jetzt? Was ist mein Bedürfnis? Diese eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und danach frei zu handeln zu üben, ist Teil des Veränderungsprozesses.
Bedenkfrei über diese Bedürfnisse mit wichtigen Menschen im Umfeld zu sprechen ist ein wichtiger Prozesspunkt: Der eigene Ausdruck. Dabei zu respektieren, dass jeder Mensch anders ist, kann auch im Ausdruck Worte finden. Zum Beispiel Menschen mit unterschiedlichem Kontakt und Nähe -Bedürfnis finden einen Kompromiss „Ich respektiere dein Bedürfnis nach Allein-sein, ich habe aber gerade das Bedürfnis mit dir in Kontakt zu sein. Können wir uns für zwei Stunden sehen?“ – Es gibt eine klare Anerkennung der Unterschiede, einen festen zeitlichen Rahmen und ein Kompromiss der für beide Menschen gangbar sein kann. Es erfordert Bewusstheit und die Fähigkeit, die Bedürfnisse der anderen Person nicht persönlich zu nehmen und gleichzeitig berührbar zu sein.
„Wenn ich mein Leben selbst forme und ihm Gestalt gebe die mir gut tut, dann spüre ich auch wieder die Lust am Leben.“, so sagte es auch Anselm Grün. Das Gefühl selbst zu leben, statt gelebt zu werden – ein für sich selbst gesunder Lebensstil in der Ganzheit mit Ritualen und Rhythmen hilft um sich zu spüren, zu orientieren und in Kontakt zu sein.
„Niemand ist eine Insel…“ schrieb der englische Schriftsteller John Donne. Damit also die Veränderungen dich nicht überrollen, bleibe in bewussten Kontakt mit der Veränderung, mit dir aber auch mit anderen, die dir gut tun.
Lebendigkeit und Freiheit zu fühlen und zu leben, den Moment genießen und sich verbunden fühlen –
all das ist möglich sich zurück zu erobern - zu jeder Zeit.