Der Pausen-Effekt

 

Entspannt ging ich am späten Vormittag in die Bank meines Vertrauens. Ich wollte im SB-Bereich noch meine Bankgeschäfte erledigen. Ein kurzer Abstecher, vor meiner sonntäglichen Frühstücksverabredung, in meinem Wohn-Viertel.

 

Mit einem Blick über meinen Mund-Nasen-Schutz und durch die Glasscheibe, stellte ich fest, dass der SB-Raum bereits mit zwei Menschen besetzt war und ich noch hinein konnte. Schon beim Betreten nahm ich eine aggressive Stimmung war. Ich orientierte mich, kurz wartend, darauf an den Automaten zu kommen. Mein Blick fing den ängstlichen Blick eines Mannes ein,  der extrem nervös auf mich wirkte. Er wippte von einem Fuß zum anderen, seine Augen zuckten suchend durch den engen Raum mit Menschen. Neben einem SB-Automaten taxierte sein Blick einen anderen Mann, den ich nur von hinten sah und der geschäftig Überweisungen tätigte. Der wartende Mann spricht den konzentriert tippenden Mann an:“ Dauert es noch lange? Ich habe es extrem eilig.“

 

„Neben mir ist noch ein Automat frei. Ich mache meine Sachen  in Ruhe zu Ende. Ich breche das nicht wegen Ihnen ab“, donnert es durch den Raum.

 

Der Wartende giftet angesäuert:“ Im Ernst?! Da gehe ich jetzt nicht hin. Ich begebe mich doch nicht in Lebensgefahr.“ Er taxiert den Mann abfällig, während sein Blick auf eine schlafende und laut schnarchende (vermutlich obdachlose) Frau fällt. Sie sucht etwas Erholung an den Geldautomaten gelehnt und trägt keinen Mund-Nasen-Schutz.Ich hatte sie zuvor nicht bemerkt.

 

„Zwischen der Frau und dem tippenden Mann ist kein Abstandhalten möglich“, erfasse ich mit einem Blick.

 

 

Der Wartende raunzt:“ Arschloch!“ völlig offen an den tippenden Mann gerichtet.

 

Er meckert sofort zurück:“ Asozial, halt doch dein Maul“

 

Eine Hitzewelle schießt durch meinen Körper, die Aggression im Raum entlädt sich an mir. Ich trete wieder aus dem SB-Bereich, ziehe meine OP-Maske vom Gesicht und  atme japsend durch und gleichzeitig merke ich, dass eine tiefe Traurigkeit sich in mir ausbreitet .

 

Eine Welle Weltschmerz erfasst mich. „Warum?“, denke ich… „Warum können die Leute einander nicht einfach lassen? Warum wird die Frau nicht mitfühlend betrachtet? Warum nimmt sich niemand mehr Zeit? Warum wollen die Menschen so viel Kontrolle, wo gerade keine möglich ist? Jeder Zwischenraum muss gefüllt werden mit etwas. Ich widme mich kurz meinen „Warums“ und nehme sie ernst. Der kurze Abstand, die Pause hat mir eine intuitive Klarheit verschafft. Ich atme entschieden tief durch und begebe mich in den SB-Raum der Bank zurück. Ich ziehe meine Maske auf und entscheide mich, meine Fragen an die beiden Männer zurück zu geben.

 

 

Ich warte kurz, nehme etwas neutraler die Stimmung auf, beobachte kurz und sehe die noch mit furchtbaren Beschimpfungen beschäftigen Männer vor mir.

„Stopp!“ entfährt es, zu meiner eigenen Überraschung, ganz laut meiner Kehle. „Warum?“ frage ich.  - Stille.

 

„Warum können Sie nicht damit aufhören?“, frage ich die Männer, die inzwischen die Positionen am Automaten gewechselt haben. Ich sehe, der zuvor tippende Mann, trägt keinen Mund-Nasen-Schutz. Das also war das „eigentliche Ärgernis“, des wartenden Maskenträgers, denke ich. Er agierte vielleicht aus Notfallverhalten? Hatte er wohlmöglich Angst vor dem Unbekannten und konnte das „Dazwischen“ vielleicht nicht ertragen? Die Angst gemischt mit dem Zeitdruck könnte diese Kette an „Kampfverhalten“ ausgelöst haben. Hat sein Zeitdruck ihn zusätzlich gestresst? Konnte er seine angestaute Hilflosigkeit nicht regulieren?

All diese Möglichkeiten öffnen sich in der kurzen, ohrenbetäubenden Stille.

 

„Die Situation ist doch schon beschissen genug für alle. Können Sie nicht aufhören so miteinander zu reden und sich den Respekt erweisen, den Menschen verdienen? Warum?“, wiederhole ich energisch.

 

Die zuvor noch schnarchende, obdachlose Frau, wacht mit einem Grunzer auf, reibt sich kurz desorientiert die glasigen Augen und verlässt mit klappernden und rumpelnden Plastiktüten die Filiale.

Als hätte sie heute allein diese Aufgabe in der Bank-Filiale gehabt.

 

 

Die schneidende Stille dehnt sich aus. Ich schaue die beiden Männer an, sie sind ruhig geworden und schauen betreten zu Boden. Ich spüre ihre Scham, sie durchwabert den Raum und erzeugt eine zähe Pause im lodernden Konflikt.

Ich sage: „Zusammenhalt und Miteinander – alles andere ist gerade nichts wert!“

 

Ich drehe mich um und verlasse ebenfalls den SB-Bereich.

 

Ich überlasse den beiden Schweigenden ihren Raum.

 

Meine Bankaufträge können warten. Heute hatte ich wohl einen anderen (inneren) Auftrag.

 

Wie die Situation für die beiden Menschen ausgegangen ist?  - Ich lebe mit dem Nichtwissen.